ICF-CY
Die ICF, die internationale Klassifikation für Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit wurde 2001 von der WHO in Ergänzung zur ICD-10, internationale Klassifikation der Diagnosen entwickelt.
ICF und ICD gehören beide zur Familie der Klassifikationssysteme der WHO und sollen sich ergänzen. Die ICF ermöglicht nach der Diagnosestellung nach ICD, (z.B. Diagnose „bilaterale spastische Cerebralparese“ G 80.0), die Beschreibung und Klassifikation von Aspekten, die für die Behandlung und das Leben des Patienten wichtig sind.
Die ICF ist eine mehrachsige Klassifikation und besteht aus vier eigenständigen parallelen Klassifikationsachsen: Körperfunktionen, Körperstrukturen, Lebensbereiche: Aktivitäten und Partizipation sowie Umweltfaktoren. Die personbezogenen Faktoren sind zusätzlich zu berücksichtigen, werden aus ethischen Gründen aber nicht klassifiziert. Um den Gesundheitszustand, die Funktionsfähigkeit und die Einschränkung der Teilhabe eines Individuums anhand der ICF umfassend zu beschreiben, sind in der Regel mehrere Kodes aus allen vier Achsen nötig.
Mit der Anwendung der ICF werden explizit die Aktivitäten und Teilhabe des Kindes in den Fokus der Versorgung gerückt. Die Umweltfaktoren beziehen sich auf die physische Umwelt wie auch die soziale Lebenswelt, wobei jeweils fördernde Faktoren (Ressourcen) und behindernde Faktoren (Barrieren) gemeinsam mit Familie und Kind identifiziert werden. Die ICF bringt Patienten und Angehörige in die aktive Rolle von Mitwirkenden.
Am Beispiel eines Kindes mit Cerebralparese könnte die Zuordnung zu den Klassifikationsachsen beispielsweise so aussehen:
- auf der Ebene der Körperstrukturen – Periventrikuläre Leukomalazie (s120),
- auf Ebene der Körperfunktionen – Beinbewegung (Kind streckt und beugt die Gelenke der unteren Extremität aber aufgrund der Muskelschwäche und Spastik langsam (b710),
- auf der Ebene der Aktivitäten – Gehen (Kind geht maximal 10 m frei und braucht dafür 1 min) (a450),
- auf der Ebene der Teilhabe – eigenständiges Gehen zu Hause (Kind geht am Morgen eigenständig zur Toilette) (p530),
- auf der Ebene der Umweltfaktoren – Bodenbelag in der Wohnung (Teppich ohne Rutschgefahr) (e525) und Einstellung der Eltern (Eltern nehmen eine unterstützende Haltung ein) (e410),
- auf der Ebene der personbezogenen Faktoren – mutiger Junge mit Bewegungsfreude (kein Code aus ethischen Gründen).
Die ICF ist ein wertvolles Hilfsmittel, das die interdisziplinäre und auf die kindlichen und familiären Bedarfe und Bedürfnisse ausgerichtete Arbeit im SPZ unterstützt.
Mit der Anwendung der ICF werden explizit die Aktivitäten und Teilhabe des Kindes in den Fokus der sozialpädiatrischen Versorgung gerückt. Die ICF hilft die vielfältigen Aspekte des Kindes und seines Umfelds durch die Zuordnung zu den Ebenen – personbezogenen Faktoren, Umweltfaktoren, Funktionen, Körper-Strukturen, Aktivitäten und Teilhabe – gut zu strukturieren.
Diese Zuordnung findet am besten an einem Tisch statt, an dem Kind, Eltern und alle Beteiligten gemeinsam in einem moderierten Gespräch die Zuordnung und Gewichtung aller Aspekte auf Augenhöhe vornehmen. Sinnbildlich besteht die Tischplatte aus dem ICF-Modell, die Tischbeine sind die Ergebnisse der vorangegangenen multiprofessionellen SPZ-Diagnostik.
Die ICF bringt Kind und Eltern in die aktive Rolle von Mitwirkenden, wie es das SGB V fordert. Der gemeinsame Austausch am ICF-Tisch ermöglicht entsprechend der Bedürfnisse und Bedarfe von Kind und Eltern, gemeinsam Ziele und einen Handlungsplan zu erarbeiten, also sinnbildlich den Tisch mit Besteck, Teller und Tassen gemeinsam zu decken.
Um die Implementierung von ICF in den SPZ-Alltag zu unterstützen wurden im Rahmen des ICF-Meduse – Erasmusprogramms (https://www.icfcy-meduse.eu) von der Arbeitsgruppe ICF-SPZ in den letzten Jahren ein modulares SPZ-Team-Schulungsprogramm erarbeitet, erprobt und Referenten und Referentinnen ausgebildet.
Hilfreiche Materialien für die Anwendung von ICF im Praxisalltag, wie die die Kommunikationspyramide und Tischvorlagen, können über die Homepage der vae kontexte gGmbH (www.vae-kontexte.de, e-Mail: icf@vae-kontexte.de) zum Selbstkostenpreis bestellt werden. Zudem ist ein einfaches ICF-Code Suche-System basierend auf den Kinderchecklisten auf dieser Seite eingestellt. Die vae-kontexte gGmbH ist eine gemeinnützige Tochtergesellschaft des Trägers vae SPZ Frankfurt Mitte.
Modulares SPZ-Team-Schulungsprogramm
Das Schulungsprogramm besteht aus drei Modulen, in denen je 12-16 SPZ-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in multidisziplinären Gruppen an insgesamt 4 Tagen, d.h. an je 2 aufeinanderfolgenden Tagen im Abstand von 3-4 Wochen, von 2 Referentinnen und Referenten in ihrem SPZ geschult werden.
In Modul 1 (BASIS Modul), Tag 1 werden Aufbau, Struktur und Anwendungsmöglichkeiten der ICF anhand von grafisch aufbereiteten Übersichten und einem Kommunikationshilfsmittel, der sog. Kommunikationsdoppelpyramide“, vermittelt. Anhand von fallbezogenen Übungen wird die Zuordnung zu den Ebenen Umweltfaktoren, Personbezogene Faktoren, Körper-Strukturen, -Funktionen, Aktivitäten und Teilhabe (Lebensbereiche) geübt. Aspekte der ICF-orientierten Gesprächsführung (siehe Gespräch am ICF- Tisch (link)) mit Eltern, möglicherweise auch mit Kind und Fachkollegen werden vermittelt.
In Modul 2 (DOKUPLAN Modul), Tag 2 werden die in Modul 1 erarbeiteten und zu den ICF-Ebenen zugeordneten Themen eines Fallbeispiels zu den Schlagworten mit ihren zugehörigem vierstelligen alphanumerischen Codes (z.B. d134 Gebärden erlernen, b122 soziale Interaktion, e215 Migrationshintergrund) aus den ICF-Kinderchecklisten der DGSPJ zugeordnet. Danach wird der Gebrauch eines e-Tools zur Protokollierung einer Fallkonferenz eingeführt. Das e-Protokoll hat folgenden Aufbau: 1. Themen/Anliegen, 2. Wichtige Informationen und 3. Handlungsplan. In einer Plenumsdiskussion werden Schlagworte mit Codes des Fallbeispiels in das Protokoll eingetragen. Zum Abschluss werden Ideen für den Transfer von ICF in den SPZ-Alltag erarbeitet.
In Modul 3 (TOP-Gespräch), Tag 3 und 4 steht die Teilhabe-Orientierte und Patientenzentrierte Gesprächsführung im Mittelpunkt. Es werden Herangehensweisen gezeigt, wie die Fachkraft durch gezielte Gesprächsführung Kind und Eltern in die aktive Rolle der Mitwirkenden als die Expertinnen und Experten für ihren Alltag bringen kann. Dadurch werden die gemeinsame Erhebung des Teilhabestatus und das gemeinsame Herausarbeiten von Handlungszielen ermöglicht. Insbesondere wird es darum gehen, wie Kindern und Eltern die Motivation zur Veränderung entlockt werden kann, damit der Weg für alle Beteiligten zu realistischen und sinnvollen Zielen auf den Ebenen von Aktivitäten und Teilhabe geebnet wird.
An Beispielen von Teilhabezielen von Kindern und Eltern wird die Bedeutung des Kontextes bei der Zielformulierung verdeutlicht und es werden Formulierungshilfen für eigene Therapiekinder gegeben. Es wird zudem gezeigt, wie Kinder ab dem kognitiven Alter von 4-5 Jahre bei diesem Prozess aktiv mitbestimmen können. Das Modul basiert auf den Konzepten von „Motivational Interviewing“ (www.motivational-interview.de) und Klientenzentrierung nach Ellen Romein (http://www.klientenzentrierte-ergotherapie.com/). Durch die Verwendung der Fallbeispiele wird der Transfer in den SPZ-Alltag unterstützt und die Auswirkungen von ICF auf Haltung und Rolle der Fachkräfte verdeutlicht.
Ab 2018 können einzelne SPZ im Rahmen eines Förderprojektes diese modulare SPZ-Teamschulung erhalten.